Für einmal etwas politisches. Ja, ich bin mit dem Bildungssystem der Schweiz zufrieden. Das duale System mit Matura und Berufsbildung ist eine hervorragendes System, dass jedem Chancen bieten. Nein, ich bin mit dem System nicht glücklich.
Fachkraft?
Nach dem gängigen Verständnis gilt als Fachkraft, wer seine berufliche Ausbildung (in der Schweiz als EFZ, eidgenössisches Fähigkeitszeugnis) abgeschlossen hat, ist eine Fachkraft. Ist das tatsächlich so?
Eine berufliche Ausbildung bindet die Grundlage. Jedoch braucht es, um in seinem Fach auch kräftig mitarbeiten zu können, einiges mehr. Es braucht Erfahrung, es braucht akutelles Wissen und Weiterbildung, es braucht auch die Umstände, sein erworbenes theoretisches Wissen anzuwenden. Ein Fachkraft ist weit mehr als jemand mit einem Papier, dass ihm einen EFZ Abschluss bescheinigt.
Wie sollen wir nun dem Mangel an Fachkräften begegnen?
Einige Vorschläge und Thesen in Kürze dazu.
1. Reformation der Tertiärausbildung
Auf Teritärstufe sollten für die Erlagung der eigendössischen Abschlüssen ähnliche Systeme wie die CAS-Stufen geschaffen werden um Ausbildungen Modular gestalten zu können. Die Finanzierung von FH / HF sowie Anbietern für eidg. Berufsabschlüsse sollte identisch gestaltet werden.
2. AHV-Bezug Beitragszeitabhängig
Wieso soll eine Fachkraft, welche bis 47 Jahre Beiträge an die AHV entrichtet hat und ein Akademiker, der 37 Jahre Beiträge leistete, gleichzeitig pensioniert werden? Wieso können wir nicht 45 Beitragsjahre machen für die volle AHV-Rente? Können wir die Erziehung der Kinder ebenfalls anrechnen, respektive tatsächlich entschädigen lassen? Die Lebenserwartung und auch die Einkommen in Berufen, bei denen stark körperlich gearbeitet wird, sind eindeutig tiefer als in akademischen Berufen. Nachdem der Staat lange in die Ausbildung investiert hat, sollten die Absolventen auch während längerer Zeit ihren Beitrag leisten müssen.
3. Steuererleichterung für ausbildende Unternehmen
Ein variabler eidgenössischer Steuersatz. Unternehmen mit einem Lehrlingsanteil von 5% der Belegschaft erhält 50% Steuererleichterung. Wieso sollen internationale Unternehmen, die schweizerische Fachkräfte beschäftigen wollen, sich aber nicht an deren Ausbildung beteiligen, vom schweizerischen System ohne Gegenleistung profitieren?
Mangel an Fachkräften?
Viele wechseln nach der Ausbildung ihren Beruf. Aus Polymechaniker werden Informatiker, aus Informatikern werden Prozessmanager, aus Elektrikern werden Verkäufer und aus Verkäufern Marketingplaner. Entscheiden für einen Wechsel ist die Perspektive, die sich aus dem Lehrberuf und den Lehrbetrieb ergibt.
Die Schweiz ist Standort für viele internationale Unternehmen. Die Schweiz ist exportorientiert. Die Schweiz ist innovativ. Die Schweiz hat ein hohes Bildungsniveau. Aber ein Problem kommt auch mit der Internationalisierung.
Berufsbildung, zu schweizerisch?
Die ausländischen Unternehmen schätzen die hohe Anzahl an Fachkräften, die in der Schweiz zur Verfügung stehen. Aber selber leisten sie kaum einen Beitrag dazu. Die Ausbildung von Fachkräften wird den schweizerischen Unternehmen überlassen. Auch mit den zunehmend ausländischen Führungskräften sinkt die Wertschätzung für die schweizerische Ausbildung. In Amerika macht jeder auf irgend eine weise auf irgendeiner Universität einen Abschluss. Keinen Universitätsabschluss haben nur die kriminellen, die Dummen und Menschen aus der Unterschicht. Klar ist dies nur ein Vorurteil, aber es kommt nicht von ungefähr. Und sie setzt sich fort, über die Beratungsunternehmen hinein bis in die Geschäftsführung und der HR-Abteilung. Auch in Deutschland haben die meisten Menschen Abitur. Die Berufsbildung existier auch in diesem Land, aber weit weniger verankert als bei uns. Auch Manager aus Deutschland sind erstaunt, wenn sich auf der Chefetage eine Fachkraft ohne Maturitätsabschluss befindet.
Entsprechend der Herkunft dieser Manager setzen sie sich auch weit weniger für die Berufsbildung ein. Schliesslich ist die Ausbildung Aufgabe des Staates und man unterstützt Lehrstühle, dessen Spezialisierungen dem eigenen Unternehmen weiterhelfen können. Aber selber in Talente zu investieren?
Berufliche Weiterbildung und Wissensmanagement
In vielen Unternehmen ist die Ausbildung «Training on the job». Es wird sich auf die Entwicklung und Sicherung des notwendigen Wissens für die heutigen Aufgaben beschränkt. Aber wie sieht es mit der Zukunft aus?
Ein sehr guter Weg ist die Zusammenarbeit mit Fachschulen für Projekte, bei denen einen Wissenstransfer (Theorie in das Unternehmen, Praxis in die Schule) stattfindet. In meiner Tätigkeit durfte ich ein solches Projekt durchführen mit einem sehr guten Nebeneffekt: Ich konnte aus der Schule eine der Fachkräften mit aktuellem umfassenden Wissen für die zuküftigen Anforderungen für mein Unternehmen gewinnen.
Aber auch die Mitarbeiter sollten interessiert sein, sich aktuelles Wissen anzueignen um den heutigen und zukünftigen Anforderungen gerecht zu werden. Lebenslanges lernen ist auch eine kulturfrage des Unternehmens selber. Den Fachkräfte verkommen sonst zu Sachkräften, die zwar eine Sache gut machen, aber ihr Fach nicht mehr wirklich verstehen.
Wertschätzung von Bildung und Umfeld
Jeder, der eine Ausbildung abschliesst, verdient Respekt. Jeder, der jemanden Ausbildet und ihm damit eine Eigenständikgeit und Unabhängigkeit als Fachkraft ermöglicht, verdient Respekt. Leider werden unsere Ausbildner und Fachkräfte, obwohl sie für die Gesellschaft eine hohe Leistung erbracht haben, kaum gewürdigt. Ein «Abschluss» ist das Minimum, besser wäre ein Bachelor, ein Master oder ein Doktor. Woher kommt diese Einstellung?
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich gesellschaftlich nach «oben» orientiert. Zu den Leuten mit dem schönen Haus, dem schönen Auto, dem Urlaub in St. Tropez und … mit akademischen Abschlüssen. Es gibt sie durchaus, Menschen ohne akademischen Abschluss und all den schönen Dingen. Aber es sind Ausnahmen, und sie gehören auch selten der Gesellschaft der «Aristokraten» an.
Die Brücke zwischen Akademiker und Berufsleute bricht ein
Ich selber stamme aus einer «Bildungsfamilie». Ein Bruder, Lehrer. Zwei Schwestern, eine HSG-Absolventin (Hochschule St. Gallen), eine Pädagogin mit Vertiefung Sonderpädagogik. Mein Vater, Maschinenbau-Ingenieur, danach Schulleiter einer Fachschule und am Ende in der Entwicklungshilfe tätig. Mein Grossvater väterlicher seits, Architekt. Meine Mutter tanzt aus der Reihe, sie war Verkäuferin, ihr Vater war Bauarbeiter bis zu einem Arbeitsunfall. Danach arbeitete er in der Endmontage für elektrische Apparate. Ich habe meine Berufslehre im KV absolviert.
Meine Familie ist atypisch. Meist werden in Akademiker-Familien Akademiker heran gezogen. Und Akademiker heiratet Akademikerin. Und die Arbeiter schauen mit Ehrfurcht oder mit Neid auf die Familien, welche von Ausbildung und Einkommen sowie Herkunft priviligiert sind. Mein Grossvater war Antroposoph, er konnte es sich leisten und zu meinem Glück wurden auch wir in gewissem Masse von seiner Einstellung und Philosophie geprägt. Somit bewege ich mich zwischen zwei Welten, jedoch klar im Bereich der priveligierten.
Zwei Gruppen: Die Elite und das Proletariat
Die eine Gruppe, akademische Familie, Geldadel, Wohlstand, Privatschulen und Internat, Ferien in Gstaad und St. Moritz. Man ist unter seines gleichen. Matura, Studium an der Hochschule St. Gallen, Master, Doktor, Abschluss suma cum laude, Kariere bei BCG, McKinsey, Little, Andersen, EY, PWC oder wie sie alle heissen. Vielleicht hat man bei einem Ferienjob einmal in der Fabrik eines Verwandten gearbeitet und Maschinen geputzt oder Leuchtstoffröhren in der Produktionshalle gewechselt. Doch die wenigsten können die Motivation, die Sorgen und auch die Freuden eines Arbeiters verstehen. Sie sprechen zwar die gleiche Sprache, verstehen können sie sich aber kaum. Ja, übertrieben, aber dennoch, existent.
Die andere Gruppe, zerrüttete Familienverhältnisse, alleinerziehende Mutter, Sozialhilfe, öffentliche Schule. In den Ferien Schwarzarbeit mit AHV Verzichtserklärung, mit dem Sohn des Unternehmers Leuchtstoffröhren in der Produktionshalle auswechseln. Danach die Kinder bei der Mutter vom Ex-Mann abholen und sich die Beschimpfungen anhören. Nach den Ferien wieder Schichtarbeit, in einem Restaurant in Zürich, Pendelstrecke 45 Minuten. Zimmerstunde von 14.00 bis 17.00 Das Serviceportemonnaie wird zu Beginn der Abendschicht gestohlen, CHF 200.00 Stockgeld und CHF 150.00 Umsatz Verlust aus der eigenen Tasche berappen. 10 Stunden gearbeitet ohne Einkommen. Der Ex-Mann hat seinen Alkoholentzug geschafft, jetzt muss er nur noch eine Anstellung finden. Ja, übertrieben, aber dennoch, existent.
Was wird wohl aus den Kindern dieses geschiedenen Paares. Welche Chancen haben sie, Fachkraft zu werden? Wie soll bei der alleinerziehenden Mutter mit den tiefen Beiträge in die Pensionskasse im Alter ein würdiges Leben mit der tiefen Rente möglich sein?
Die Verantwortung der Unternehmen
Die Unternehmen in der Schweiz geniessen in sehr vielen Dingen eine grosse Freiheit. Aber mit dieser Freiheit geht auch Verantwortung einher.
Unser Berufsbidungssystem stammt aus einer Zeit, indem noch die Patrons die Geschicke der Unternehmen geleitet haben. Heute sind mehr und mehr Manager in der Führung, viele ohne Wurzeln in der Schweiz und der Kenntnisse des sozialen und ökonomischen Systems.
Patrons haben oft neben der Verantwortung für das Unternehmen auch Verantwortung für die Mitarbeiter gezeigt. Ihnen war wichtig, dass es den Mitarbeitern gut geht. Patronale Fürsorgestiftungen entstanden, weit bevor 1984 das BVG eingeführt wurde. Sie sorgten für Personalhäuser, für Ausbildung, teilweise für Ferien (REKA lässt grüssen). Und sie setzen sich für die Ausbildung von Mitarbeitern, für die Berufslehre ein.
Heute nehmen viele Unternehmung die gesellschaftliche Verantwortung nicht mehr wahr. Andere jedoch stehen noch immer hinter dem schweizerischen System. Die Ausbildung von Lehrlingen ist wirtschaftlich nicht interessant. Aber woher sollen die Fachkräfte kommen?
Wer leitet die Geschicke der Schweiz?
Früher (viel früher) wurden die Geschicke der Schweiz primär von Unternehmern, dem Freisinn geleitet. Sie zeigten sich verantwortlich sowohl im Staat die Rahmenbedingungen für die Schaffung von Arbeitsplätzen zu sichern wie auch die gesellschaftlichen Entwicklungen in den Unternehmen zu begleiten. Aus patronalen Strukturen entwickelte sich bald einmal mit der Industrialisierung eine Ausnutzung der Arbeitskraft. Es entstanden Gewerkschaften als Gegenpol.
Heute leiten die Geschicke der Schweiz noch immer die Eliten. Und natürlich sind auch die Eliten bedacht, ihre Freiheit zu wahren. Das Parlament und die Verwaltung sind geprägt von Leuten mit akademischen Hintergrund. Man kann Parlamentarier oder Chefbamter nicht durch eine EFZ-Ausbildung lernen. Also genau genommen sind da kaum Fachkräfte am Wirken.
Natürlich versuchen die Universitäten ihre Institute von unqualifizierten Berufsleuten zu schützen und verlangen die Maturität für das Studium. Dennoch wird, auch für das Erlangen der Maturität als Erwachsener eine Anforderung gestellt, bei der die berufliche Ausbildung nicht gewichtet wird. Die Maturitätskurse für Erwachsene sind, unabhängig einer vier jährigen EFZ-Lehre als Polymechaniker oder zwei jährigem Berufsattest, gleich gestaltet. Auch hier gäbe es Optimierungbedarf.
Matura oder Berufslehre?
Ich habe eine Berufslehre gemacht und muss heute sagen: Matura! Wieso? Weil ich, auch wenn mein IQ bei 130 liegen würde, keine Chance habe an einer Fachhochschule meinen Master zu machen oder an einer Hochschule zu studieren, weil mir dieses Papier fehlt. Was ich mir damit verbaue? In etlichen Stellenausschreibungen für Führungspositionen im Finanzbereich wird ein Hochschulabschluss verlangt. Explizit. Ob er notwendig ist oder nicht, das kann ich nicht beurteilen (ich bezweifle es). Fakt ist, der Arbeitsmarkt in Führungspositionen verlangt heute nach einem Master. Aber nicht nur das ist ein Grund. In der Kollaboration in Teams, wenn man mit Menschen mit akademischen Hintergrund zusammenarbeitet, dann ist die Kommunikation und Arbeitsmethodik anders als in der Werkstatt oder im Grossraumbüro. Daher macht es Sinn, diese Methoden kennen zu lernen. Auf der anderen Seite würde es manchem Akademiker auch gut tun, den Blaumann anzuziehen und die Finger schmutzig zu machen. Gute Führungskräfte haben das auch gemacht.
Mehr Anerkennung für Berufslehren!
Vor kurzem erschien ein Bericht in der Zeitung, bei der bei den Gemeinden verglichen wurde, wer mehr Jugendliche in das Gymnasium bringt. Wieso? Ist es eine Leistung, an das Gymnasium zu kommen, wenn man privilegiert aufgewachsen ist? Ist es nicht vile mehr eine Leistung, trozt sprachlichen oder anderen Handicaps, eine Berufsausbildung antreten zu können und für den wirtschaftsstadort Schweiz eine Leistung zu erbringen und den Schritt in die eigene Freiheit und Unabhängigkeit zu gehen? Denn nach der Matur ist ein Mensch erst einmal ausgebildet. Um Fachkraft zu werden braucht es berfuliche Kompetenz. Die kann nicht durch studieren, diese kann nur durch Arbeit erreicht werden.